Mabon


Als Mabon geboren wurde

Modron, Göttin der Unterwelt
©Denise Kellner


In einem Reich, weit unter der Erde, regierte eine Königin. Ihr Name lautete Modron. Ihr langes Haar war blau (Modro = blau - solwenisch) und reichten bis unten an die Füße ihres Thrones (Odron=Erdrutsch - kroatisch)

Zwerge, Elfen, Kobolde wohnten in ihrem weitflächigem Reich und verrichteten tagein, tagaus hier ihren Dienst. Modron war eine einsame Königin, obgleich sie als Göttin der Unterwelt, auch unter den Menschen galt. Jeden Abend blickte sie sehnsuchtsvoll zum Himmel und bat um jemanden, der ihr das Wasser reichen möge.
Und in jedem Morgengrauen ging Modron traurig und einsam zurück in ihre Schlafhallen, um sich auszuruhen.
Die Zwerge waren verzeifelt. Kein Wunderwerk, was sie Modron auch reichten, ob glitzernd, selbstgeschmiedetes Besteck, noch ein neues Diadem, wollten sie aus ihrem Liebesschmerz herausholen.
Die Elfen umwarben sie, tanzten und spielten, doch Modron nahm sie jeden Tag weniger wahr.
Und auch die Kobolde, die ihren wahnwitzigen Schabernack nicht lassen konnten und Modron so oft zum Lachen gebracht hatten, bekamen keine Gelegenheit, Modron ein Lächeln auf die müden Augen zu zaubern.

Wie jede Nacht ging Modron zur Erntezeit an die Oberfläche der Erde, blickte sehnsüchtig in den von Sternen glitzernden Himmel und wartete auf ein Zeichen. Jemanden, der ihr das Wasser reichen möge.
Kurz vor dem Morgengrauen dann, Modron wollte sich schon zurückbegeben in die Unterwelt, schien der Himmel zu zucken, erfüllt von hell gleißendem Licht. In der Ferne vernahm sie ein Grollen, schaurig schön und beängstigend zugleich - selbst für eine Göttin.
Doch ihre Neugier hielt sie davon ab, ins Innere der Erde zu flüchten. Regungslos blieb sie stehen und harrte der Dinge, die da auf sie zukamen.
Das Zucken wurde heller, das Grollen stärker und aus einem der Lichtblitze heraus, kristallisierte sich nach und nach eine göttliche Gestalt.
Jung, schön und athletisch stand er vor ihr. Langes, wallendes, glitzernd helles Haar umspielte den muskulösen Körper.
"Wer seid ihr und was habt ihr hier zu suchen?", fragte Modron halb barsch, halb zitternd vor Furcht. Doch ebenso zitterte ihr das Herz und der Anblick dieser Gestalt ließen ihr die Knie weich werden.
Vorsichtig und behutsam streckte der Mann eine Hand nach ihr aus und hielt ihr selbige an die Wange.
"Mein Name ist Mellt. Ich bin gekommen, von oben aus des Himmelsreich Göttergeschlecht. Euer Rufen und Sehnen nach jemanden, der euch imstande ist, das Wasser zu reichen hat mich ereilt."
Bei der Berührung der Wange von Modron, war es um sie geschehen. Ihr ganzer Körper schien wie elektrisiert und die feinen Härchen in ihrem Nacken und an ihren Armen richteten sich auf.
In diesem Moment begann es zu regnen. Viele kleine Regentropfen fielen auf Modron. Genüsslich atmete sie auf. Schmunzelnd nahm Mellt Modron in die Arme und flüsterte ihr leise ins Ohr: "Ihr wolltet doch jemanden, der Euch das Wasser zu reichen fähig ist" und ließ nicht eher von ihr ab, bevor die Sonne ihre ersten Strahlen auf Modron fielen ließ.

Hernach kehrte Mellt zurück zum Geschlecht der himmlischen Götter und versprach, Modron, so es ihm an Zeit nicht fehlte zu besuchen.


Die Geburt des Mabon
©Denise Kellner


Die Zwerge juchzten, die Elfen tanzten und spielten Harfe, die Kobolde schlugen Purzelbäume, ihre Königin tags darauf milde lächelnd auf dem Throne wieder zu finden.
Köstliches Gebäck wurde in den untersten Stuben gebacken, das Feuer brannte heiß im inneren der Erde. Zu Ehren der Königin hielt man spontan ein Fest und die Musik spielte bis tief in die Nacht hinein.

Alle paar Wochen trafen sich Mellt und Modron im Schatten ihres blauen Haares, lachten und scherzten und hatten Freude über den Regen. Jedesmal, egal, wieviele kluge Fragen sie ihm auch stellte, wieviel Witz sie von ihm verlangte und wieviel Verständnis, wusste Mellt Modron das Wasser zu reichen.

Glücklich waren sie, bis die Königin der Unterwelt eines Tages blass und kränklich im Bett blieb. Mellt wartete vergebens auf ein Treffen mit ihr.
Die Zwerge begannen sich zu sorgen und aus lauter Hilflosigkeit schnitzten sie tiefe Gruben in die Diademe und Ketten, welche daraufhin zerbrachen.
Die Elfen gerieten beim Tanz so durcheinander, dass sie einander auf die Füße trampelten und sich gegenseitig umrempelten. Ein Elf sang schiefer als der andere. Die Kobolde bliesen sich vor Verlegenheit mit stetig, tiefen Seufzern die Haare aus dem Gesicht.
Ein Arzt musste herbeieilen, beschloss man und suchte hernach nach ihm.
Mellt hörte diese Botschaft und schickte einen Berater in das Reich der Unterwelt zu seinem geliebten Weib.

Nach kurzer Untersuchung der Schönen, schmunzelte der Berater, was die Zwerge zutiefst beleidigte, die Elfen empörte und die Kobolde,... ja, die Kobolde wären fast umgefallen, über solch Niedertracht, die sich da in ihren Augen abspielen musste.
"Was hat sie?" herrschte einer der hübschen Elfen den Berater an. "Und was grinst Ihr so dabei? - Belustigt es Euch etwa, unsere Gebieterin in solch argem Zustand vorzufinden?"
Ein Raunen ging durch die Menge. Ein unheilvolles, fast feindseliges Raunen und die Gesichter aller verfinsterten sich sogleich. Ja, man rückte dem Berater kriegsentschlossen langsam näher.
"Haltet ein, kleines Volk!", rief der Berater mit erhobenen Händen. "Eurer Herrin ergeht es gut!"
"Aber was hat sie denn dann, wenn sie so blasse im Bette liegt?", fragte einer der Zwerge, sein Schwert hinter dem Rücken haltend, zum Kampfe bereit, langsam nähertretend.
"Nun...", murmelte der Berater und schaute sich in der Menge um. Was sollte er ihnen sagen? Das Schauspiel und die vermeintliche Sorge belustigten ihn so sehr, dass er nicht an sich halten konnte und ausrief:
"Nun...!!! Eure Herrin ist von Völlerei befallen. Argwöhnische Völlerei!"
Entsetztes Gemurmel drang aus der Menge, bevor der Berater weitersprach:
"Noch ein paar Tage lang und sie wird vollends davon befallen sein und aufdunsen, wie der Mond am Himmel!"
Bestürzt schlugen sich die Kleinen die Hände vor den Mund und stöhnten auf.
Der Zwerg mit dem Schwert jedoch ließ nicht locker und trat näher und näher an den Berater heran.
"Weiter!!", forderte er schneidend. "Was wird dann mit ihr geschehen?"
Eine Braue hebend antwortete der Berater leise: "Sie wird so lange runden, bis es aus ihr herausplatzen wird."
"Sie.... sie platzt auseinander???" riefen die Kleinen, nun selbst blass wie ihre Herrin durcheinander. Unruhiges Geflüster und Getuschel machte sich breit.
Wo sollten sie dann alle nur hin? Und wer ihr das angetan habe.. und ob sie auch alle von der Krankheit befallen sein sollten, die sich hier scheinbar ungefragt im Bauch ihrer Herrin breit machte, hörte der Berater heraus.
Da überkam es den Berater und er begann schallend zu lachen. Er lachte und lachte und konnte sich so gar nicht beruhigen. Soviel Dreistigkeit war das kleine Volk jedoch nicht gewohnt und verstummte augenblicklich in einer für sie unfassbaren Situation.
Wieder war es der kleine Zwerg mit dem Schwert der flink wie ein Wiesel hervortrat und das Schwert in einem Atemzug dem sekundenschnell überraschten Berater an den Hals hielt:
"Was es auch ist, werter.. Berater! Wir lassen uns nicht zum Narren halten. So seh zu, dass Du es ernst nimmst und dass Du es herausbekommst aus unserer Königin!"
Entwaffnend streckte der Berater die Hände in die Höhe und sprach:
"Verzeiht. Ich wollte mich nicht belustigen. Weder über Euch, noch über Eure Herrin. Sie ist nicht krank. Sie erwartet lediglich ein Kind. - Lasst sie mich untersuchen, dann werde ich die Sterne befragen, welch Schicksal hier geboren wird."
Der Zwerg ließ unter dem erneut aufkommenden Gemurmel in der Menge vom Berater ab, die Elfen wiegten ihre Köpfe, die Kobolde staunten.
Als es wieder still wurde, legte der Berater seine Hände auf den Bauch von Modron und richtete seine Augen zum Himmel.

"Sterne funkelt in den Himmeln,
jeder eins beim anderen ist.
Wie sie strahlen, wie sie wimmeln,
zeigt mir alles, was ihr wisst.

Zeigt mir Schicksal, zeigt mir Wege,
zeigt mir Leben, zeigt mir Tod,
zeigt mir Brücken, Pfade, Stege,
Hilfsbereitschaft in der Not!"

Nach einer langen Zeit der Andacht, einer Zeit von vielen eingesogenen, angehaltenen Atem, richtete der Berater seine Augen zurück zu Modron.
Erschöpft schien er zu sein. In seinem Blick lag eine besorgniserregende Furcht, als er den ihn zuvor angreifend wollenden Zwerg anschaute.
"Passt auf das Kind auf. Sobald es geboren, ist es in Gefahr. Ihr dürft es nicht aus den Augen lassen!"

Schluckend nickte der Zwerg. Ja, das wolle er tun. Und alle sollten es ihm gleich tun.

Nach einem Jahr gebar Modron einen wunderhübschen Knaben. Sein Haar war schwarz und blau wie das Farbenkleid der Raben. Seine Augen strahlten hell wie die Sterne, seine Haut glich dem Licht des Mondes. Und sein Name ward Mabon. Mabon, Sohn des Mellt, Gott des Blitzes und Modron, Göttin der Unterwelt.
Modron konnte sich nicht sattsehen an der Schönheit ihres Kindes und schwor selbst, obgleich der Prophezeiung des Beraters, immer zu wachen und ihn zu beschützen.


Eine ungewöhnliche Begegnung

 ©Denise Kellner

 

Am Tag der Geburt des Mabon, öffnete Modron weit die Fenster.

Eine Amsel flog herbei und setzte sich auf den Sims. Als Modron ihre Hand nach ihr ausstreckte, flatterte die kleine Schwarze herbei und ließ sich nieder.

"Oh, Du Schöne!", rief sie. "Schau nur, was für ein wunderbares Geschenk mir Mellt brachte."

Mit diesen Worten schritt sie auf die Wiege des Mabon und die Amsel kletterte auf das Stück Holz.

Der Zwerg lief aufgeregt herbei und fuchtelte sogleich mit dem Schwert, als wolle er das Tier damit verscheuchen: "Ksch, ksch, ksch!", machte er und zu seiner Herrin rief er:

"Es droht Gefahr, Mylady. Seht Ihr es nicht?"

Modron lachte hell auf: "Ihr seid von Sinnen, Zwerg! Das hier ist eine Amsel. Schaut her."

Die Amsel jedoch gab ihre Gestalt frei, öffnete ihr Federkleid und mit lang, wallendem Haar stand eine weibliche Gestalt vor der Wiege. Ihr goldener Mund öffnete sich und sang beinah die Worte:

"Mabon, ich grüße euch. Mabon, Sohn des Mellt, Sohn der Modron, seid Willkommen in dieser Welt! Ich bin gekommen, um euch mit Lebensfreude und Wagemut zu segnen. Stets sollt ihr euer Haupt stolz erhoben tragen. Möget ihr gesegnet sein!"

So wie sie es sprach, wandelte sie sich zurück in die kleine Amsel und flog daraufhin zum Fenster hinaus.

 

Der Zwerg seufzte und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. "Beim nächsten mal werde ich nicht so nachsichtig sein, Herrin!", setzte er hinzu.

Diese aber wiegte Mabon in ihren Armen, stillte und liebkoste ihn.

In der Nacht wachte sie, wie sie es versprochen hatte. Jedoch machte sich am Morgen schon die erste Müdigkeit breit. Die Geburt war keine leichte gewesen.

 

Als Modron zum Fenster ging, um das Zimmer zu lüften, blickte ein Hirsch hinein.

Der Zwerg zückte das Schwert und lief zum Fenster, um dem angeblichen Monstrum sofort den Gar auszumachen. Modron hob beschwichtigend die Hand und gebat ihm Einhalt: "Es ist doch nur ein Hirsch! Ein Hirsch, Zwerg!!", warf sie ihm vorwurfsvoll entgegen.

Der Zwerg seufzte, verdrehte die Augen und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. "Beim nächsten mal werde ich nicht so nachsichtig sein, Herrin!", setzte er abermals hinzu.

Der Hirsch wandelte alsbald seine Gestalt in einen jungen Mann. Der trug ein Geweih auf dem Kopf und sein Körper ward mit den Blättern des Waldes bedeckt und sonst nichts. So, wie er war, in grünlichem Schimmer, kletterte er zum Fenster hinein, stellte sich an die Wiege des Mabon und hob die Hände zum Segen:

"Mabon, Sohn des Mellt, Sohn der Modron. Willkommen möchte ich euch heißen in dieser Welt. Möget ihr euren Platz hier finden. Ich segne euch mit innerer Ruhe und dem Sanftmut der Wälder. Möge euer Leben fruchtbar sein, und möget ihr Problemen und Hindernissen gelassen gegenüber stehen können."

Wie er gekommen, so ward er schon verschwunden.

 

Am dritten Tage ward Modron durch die durchwachten Tage und Nächte gezeichnet von stiller Blässe. Immer wieder fielen ihr die Augen zu und als sie den Zwerg bat, das Fenster zu öffnen, um frische Luft einzulassen, damit es sie erfrische, hockte auf dem Sims eine Eule.

Mit einem Schlag war Modron vom Gekeife des Zwerges wachgerufen und eilte zum Fenster herbei. In letzter Sekunde konnte sie verhindern, dass der Eule der Kopf abgeschlagen wurde. Finster blicke Modron dem Zwerg in die Augen.

Dieser senkte den Blick zur Seite und hob die Hände:

"Auf den Stuhl, Zwerg.. es ist nichts. Es ist nur eine Eule!", sagte er leise vor sich hin, noch bevor Modron ihn schelten konnte.

 

Die Eule jedoch flog herein und im Fluge wandelte sich ihr Kleid zu einer wunderschönen Robe. Der wache Blick einer stattlichen Frau schaute in die Wiege des Mabon. Eingehend betrachtete sie das Kind, bevor sie sprach:

 

"Mabon! So seid ihr also gekommen. Seid gegrüßt und willkommen auf Erden! Ich segne Dich mit dem wachen Blick und einer Beobachtungsgabe, schneller als jeder Pfeil dieser Welt fliegen könnte!" Sie wollte schon ablassen und umkehren, als sie innehielt und noch einmal in die Wiege des Kleinen sah.

"Zudem, Mabon. Sollt ihr nie die Hoffnung verlieren! Egal, wie düster es um euch werden mag, wie dunkel und kalt. Selbst wenn das Eis euren Körper gefriert, wenn das Feuer euer Herz zu verbrennen droht, wenn der Wind euch den Atem raubt. Die Hoffnung.. stirbt zuletzt!" setzte sie hinzu und wie sie kam, so löste sie sich auf.

 

"Zauberei!", murmelte der Zwerg unwirsch, bevor er, selbst müde ein wenig die Augen schloss, um ein wenig auszuruhen.

Modron jedoch hielt die Aussage für eine Warnung. Irgendetwas war komisch an den letzten Worten der Eule. Angstvoll nahm sie Mabon aus der Wiege zu sich auf den Arm und wiegte den Kleinen. Mit ihm setzte sie sich in einen Stuhl, gegenüber dem Zwerg. Und während sie noch so über die Worte der Eule sinnierte, wurden ihr die Augen schwer und schwerer. Mit jedem leisen Atemzug, den Mabon tat, fiel sie selbst in einen immer tieferen Schlaf.

 

Als sie am späten Abend erwachte, war das Kind in ihren Armen verschwunden.

 


Als die Krafttiere geboren wurden

©Denise Kellner

 

Unheil breitete sich über die Erde aus. Und ein Tränenmeer bedeckte sie. Mellt ließ es donnern und blitzen, sodass die Bäume brachen,- alles in der Hoffnung, hinter einem verborgenem Ast, den kleinen Mabon ausfindig zu machen. Er ließ die Hütten und Häuser der Menschen zerbersten, öffnete die Meere zu Fluten. Seine Suche ward überall, doch nirgends konnte man den Kleinen ausfindig machen.

 

Modron verfiel vor Kummer in einen tiefen eiskalten Schlaf. Schnee bedeckte das ganze Land, Kristalle brachen aus den Blumen hervor.

 

Wenn die Menschen nicht von den Fluten der Meere verschüttet wurden, so mussten sie verhungern. Keine Ähre stand noch auf den weiten Feldern.

 

Der Zwerg hielt verbitterte Wache vor dem Bett seiner Herrin. Sagen wollte er nichts mehr. Vielleicht hatte er zu viel gesagt!? Hatte er? Doch in seinem klugen Kopf überschlugen sich die Gedanken immerfort.

"Ich hätte es verhindern können... ich hätte." und "Wenn sie doch nur auf mich gehört hätte..."

 

Doch alles Jammern und Weinen half nichts. Der Zwerg vermutete die Eule, den Hirsch und die Amsel hinter der Pein. Ja, er mutmaßte, einer von ihnen hätte den kleinen Mabon seiner Herrin entwendet. Oder war es gar der Berater? War er ein hinterhältiger Strick, der mehr in Mabon gesehen haben könnte, als er dazumal an dessen Wiege stand und wollte sich nun der Kraft, welche sich ihm offenbarte bemächtigen?

 

Eine kleine Elfe sandte nach dem Hirsch, der Amsel und der Eule aus.

 

Und drei Tage später trafen alle nacheinander ein.

 

Unwirsch hob der Zwerg sein Schwert. Tränen standen ihm dabei in den Augen, doch der Hirsch erhob hoheitsvoll seine Hände:

 

"Nicht doch! Wir sind gekommen, um zu helfen."

 

Schwach von eigener Trauer, setzte sich der Zwerg zurück ans Bett der Modron und senkte den Kopf.

 

Die Tiere jedoch hielten Rat, wie sie es anstellen könnten, Mabon zur Erde zurückzuholen.

 

Die Eule sprach als erstes:

 

"Ich werde vorangehen. Meine Augen sehen die tiefst liegenden Ecken in allem Dunkel. Wenn jemand im Nichts sehen kann und ein Versteck ausmacht, so bin ich es."

 

Dann sprach der Hirsch:

 

"Ich werde Dir folgen, Eule. Direkt hinter Dir werde ich stehen und Dich begleiten, wohin auch immer Deine Augen uns leiten. Alles, was sich uns in den Weg stellt, werde ich beseitigen. Denn ich habe die Macht dazu."

 

Zuletzt meldete sich die Amsel zu Wort:

 

"Ich werde in eurer Mitte gehen! Ich werde euch leuchten den Weg, damit wir uns nicht verirren und mit Mabon den Weg nach Hause finden. Und ich werde euch treu zur Seite stehen, euch Mut und Frohsinn geben, wenn Düsternis uns einholen sollte und den Sinn betrüben."

 

Gesagt, getan. Mit einem letzten Blick auf die schlafende Modron verabschiedeten sich die Tiere von dem Zwerg. Dieser hob fast teilnahmslos die Hand zum Gruße. Dann versank er wieder in eine steinerne Lethargie.

 

Die Sonne ging unter, als die drei auf einem verlassenen, alten Bauernhof standen. Ein Wagenrad prangte an der Scheune, benetzt mit Ähren aus vergangenen Tagen. In der Mitte des Hofes stand ein Brunnen, dessen Tiefe nicht ausmachbar schien.

 

Ein seichter Wind umwehte die drei Eichen, die fast karg und erkaltet am Rand des Hofes standen. Dahinter fanden sich die vereisten Ehren auf den schneebedeckten Feldern.

 

Traurig blickte die Eule diesem Schauspiel entgegen, doch der Hirsch ermahnte zur Eile.

 

"Steigt hinab, Eule, dies ist der Zugang zur Welt hinter der Welt. Hier werden wir Antworten finden."

 

"Und vielleicht den kleinen Mabon", vollendete die Eule seufzend den Satz. Ganz geheuer war ihr nicht und die Dunkelheit die aufkam, vermochte wohl ihren Blick zu schärfen, doch ihren Sinn begann es leise zu trüben.


Darauf zwitscherte die Amsel, derer dies nicht verborgen blieb, eins ihrer wunderbaren Morgenlieder. Das Gemüt klärte sich auf und so flog die Eule voran in die Tiefen des Brunnens hinein.

Der Hirsch sprang mutig hinterher und die Amsel flatterte noch einmal um den Brunnen herum, bevor auch sie ihren Freunden in die Tiefe folgte.

 

Tief und immer tiefer ging es hier hinab. Unzählig die Schritte, für einen Menschen unbegehbar und wohl der sichere Tod. Doch nichts hielt sie ab.

Weder die immer weiter werdende Schwärze, noch der Druck auf ihrem Herzen, der diese fast zum Zerbersten brachte.

Tränen rannen der Eule hinab, die sich am Geweih des Hirsches verfingen. Sorgsam leckte die Amsel die Tränen vom Gefieder der Eule und vom Geweih des Hirsches, nahm sie auf in ihre Kehle und wandelte diese in ein Lied der strahlenden Sonne am Mittag.

 

Auf dem Grund des Bodens angelangt, fanden sie nichts. Härte und versteinerte Wände umgaben sie in allen Richtungen, wie sie sich auch drehten und wandten. Nichts geschah. Dem Hirsch begann sein Wagemut zu verlassen und die Eule zitterte am ganzen Leib.

Und wieder ward es an der Amsel, die Schwere der Luft in sich einzuatmen und es in ihr umzuwandeln, in das Lied des sonnenuntergehenden Abends.

Als der Hirsch seinen Mut und die Eule ihre Kraft durch das Lied wieder zurückgewannen, öffnete sich ein Spalt in den Wänden. Sanftes Tageslicht schimmerte hinein.

 

"Sing weiter, Amsel", sprach die Eule ihr mit innerem Wissen zu.

 

Und die Amsel atmete die Freiheit, die sich hinter den dunkelkühlen Mauern verbarg. Und sie sang ein Lied, wie sie schöner noch nie zu singen vermochte.

 

Die Wände taten sich auf, dem Hirsch zitterte vor tiefer Dankbarkeit und der Eule entrannen Tränen der Freude.

 

Als der letzte Spalt sich regte, traten sie in das Licht hervor. Vor ihnen lag unter einer Wurzel einer Esche der kleine Mabon. Eingewickelt in weißen Tüchern ruhte er dort und schlief friedlich. Beinah so, als sei er tot, wären seine rosigen Wangen nicht gewesen und hätte das sanfte Atmen ihn nicht des Lebens verraten.

Erleichtert wollte die Eule den kleinen Mabon an sich drücken. Doch da zuckte die Esche ihre Wurzeln und peitschte nach ihr, sodass die Eule zurückgestoßen wurde. Entsetzen zeichnete sich in ihren alten Augen ab. Was ging hier vor sich?

 

Doch der Hirsch sprang mutig hervor und sprach:

 

"Werte Esche! Hüterin der neun Welten. Lang ward unsere Reise und beschwerlich ist das Herz derer, die diesen Knaben geboren. Es ist der Verlust des Kleinen. Gebt ihr ihn nicht frei, so stirbt Modron und mit ihr alle Menschen und Kindeskinder ihrer Erde."

 

"Was geht mich das an?", fauchte die Esche zurück und rankte mit ihren Wurzeln nach dem Fuß des Hirsches, um ihn zu Fall zu bringen.

 

Dieser wich geschickt den Peitschenhieben aus und blieb besonnen.

 

" Viel, werte Hüterin der Anderwelt. Denn stirbt Modron, stirbt die Welt, die auch Euch bereichert. Niemals mehr wird es eine Verbindung geben von einem oben zu einem unten, von einer Mitte zu einem Nichts. Auch Eure Welt wird verdorren, so, wie unsere Welt dort droben gerade verdorrt. Nie wieder wird ein Fremdling zu euch gelangen, da all diese, die Modron gebärt und hervorbringt dorthin schickt, wo kein Licht sich rührt, wo kein Dunkel erstarkt, wo kein Wind sich regt, wo kein Wässerchen fließt, wo kein Gestirn sich bildet."

 

Die Esche schien zu überlegen. Ihre Wurzeln sanft um Mabon geschlungen hielt sie in ihrem Wiegentanz plötzlich inne und sprach:

 

"Wegen ihm hier werden wir sterben, sagst Du?" Eine Träne rann der Esche hinab, bevor sie fortfuhr. "Aber, er ist so wunderschön. So wunderschön! Sieh nur, wie es hier überall glänzt und fruchtbar wird." Mit diesen Worten zeigte einer ihrer Wurzeln rings um sich herum. Und in der Tat. Alles schien hell erleuchtet. Die Bäume trugen übervolle Früchte, das Gras war übersäht mit bunten Wiesenblumen, und ein melancholischer Duft nach Freiheit hing schwer in der Luft.

 

Abermals war es der Hirsch der sprach:

"Was können wir tun, damit Du uns Mabon aushändigst? Was ist Euer Begehr?"

 

Die Esche wiegte ihre von Grün bedeckte Krone nachdenklich hin und her. Nach einer Weile sagte sie leise:

"Wenn das Ende eurer Welt gekommen ist und es ist von Menschenhand verschuldet, dann sollt ihr sterben und eure Königin als erstes. Ihr sollt dahin gehen, wo das nichts ist und dort euer Verderb finden. Doch sollte es so sein, dann werden wir auch sterben. So, wie ihr jetzt gesagt. Dann aber schickt uns Mabon. Schickt ihn uns, wenn ihr gewiss seid, dass eure Welt nicht mehr zu retten ist, damit wir hier unten eine Weile weiterleben in diesem bezaubernden Duft des ewigen Lebens."

 

Die Eule riss die Augen auf. Was verlangte die Hüterin dort? Doch dann schlug sie die Augen nieder.

 

"Wir können für die Besonnenheit der Menschen keine Garantie geben. Der Mensch weiß oft nicht, dass die bedeutenste Zeit die Gegenwart ist, das Wichtigste immer der Mensch, der ihm gerade gegenübersteht und das größte Werk, dass er tun kann, die Liebe selbst ist."

 

Der Hirsch lauschte den Worten der Eule und nickte mit gesenktem Geweih.

"Ja, Eule. Doch die Menschen zu lieben, bedeutet die Menschen so zu nehmen, wie unsere Götter sie gemacht haben. Geben wir ihnen die Chance, sich zu behaupten, Lehren aus ihren Erfahrungen zu ziehen. Allen voran...," dabei fiel sein Blick auf Mabon, der immer noch friedlich vor sich hinschlummerte, "auf ihre jetzige Erfahrung. Die, wenn Mabon ausbleibt."

 

Die Amsel, die dem Ganzen ziemlich ruhig gegenüberstand begann leise und immer lauter werdend zu zwitschern:

 

"Wenn Freude und Schmerz sich streiten, wer von ihnen mehr Anrecht auf des Menschen Herz hat, denkt an die Liebe und legt sie ihnen hinzu, die sie ihr Lebtag begleiten wird."

 

Diesem Gesang traten alle bei. Und die drei Gefährten schlossen den Pakt mit der Esche, Hüterin der Anderwelt. Sollte es eines Tages dazu kommen, dass der Mensch selbst sich zerstört, dass er Modrons Herz bluten ließe zu ihrem Untergang, dann sollte Mabon für immer in die Anderwelt kehren und es würde kein Zurück geben.

 

Weder für die im Oben, die in der Mitte, die im Unten, noch für die im jeglichen Dazwischen.


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