Beltane


Vergangene Zeiten

©Denise Kellner

 

Ich sitze auf dem Dachboden und blättere wieder in diesem alten Buch. Spannend ist es zu lesen. Jede Seite in dem roten Ledereinband hat ihre Spuren der Zeit hinterlassen. An den Seitenrändern zieren mittlerweile gelbe Abzeichnungen

das Werk. Das Werk keiner großen Künstlerin. Es ist keine Autorin der neuen Zeit, sondern das Buch einer mir unbekannten Frau, welches ich in einer abgelegenen Seite, versteckt im Dachgebälk gefunden habe.

Die Handschrift ist schnörkelig und ich habe Mühe die einzelnen Buchstaben zu Wörtern und dann zu ganzen Sätzen zu entziffern.

Seit ein paar Tagen kehre ich immer wieder in diese neue Heimstadt, um mich für ein paar Minuten zurückzuziehen. - Einzutauchen in eine fast fremde Welt.

Das Tagebuch ist mir einer meiner heiligen Schätze geworden, um Ruhe und Gelassenheit zu finden. Mein Mann und die Kinder sind schon etwas verwundert, wenn ich mittlerweile, fast heimlich, bestückt mit einer Tasse Tee und einer Kerze den Dachboden aufsuche. Eigentlich wollte ich in diesem Haus nur Ordnung schaffen. Vom Keller bis zum Dachboden.

 

Wir sind vor ein paar Wochen hier eingezogen. Nachdem die Zimmer im Wohnbereich alle eingerichtet waren, war es an mir, mich um den alten verstaubten Dachboden zu kümmern. Zunächst hielt ich das für eine sehr schlechte Idee. Meine panische Angst vor Spinnen tat mein Mann lächelnd als "Möglichkeit zur Angstbewältigung" ab.

Er hatte leicht Reden. Hinter seinem stets frisch gewienerten Schreibtisch hatte sich bisher noch nicht eine Spinne verirrt und ich bin bis heute der Annahme, dass die Reinigungskraft stets dafür sorgen würde, dass dies auch niemals passieren würde. Martin ist Anwalt und ein Mann der Hygiene. Sollte sich doch einmal ein solches "Ungetüm" in seinem Büro befinden, so würde Lizzy sicher dafür sorgen, dass diese an den Folgen eines Sagrotansprühangriffes sofort erstickte.

Fast musste ich in mich hineingrinsen, denn ich hatte nicht nur meine Angst vor Spinnen überwunden, sondern hielt mich mit den Aufräumarbeiten hier - "verdächtig lange", wie Martin schon Stirnrunzelnd bemerkt hat - auf dem Dachboden auf.

 

Es war aber auch zu spannend. Dieses Buch. Wenn es bewirken konnte, dass ich meine Ängste verlor, was konnte es noch bewirken? Jedesmal wenn ich einen Tagebucheintrag gelesen hatte, rührte sich etwas in mir. Ganz tief in meinem Innen.

Die Kerze flackert im seichten Dunkel des langen Raumes, an dem nur am Ende ein Fensterchen das Tageslicht hineinließ. Draußen scheint die Sonne. Frühlingszeit. Ich schaue auf das Datum des Tagebucheintrages.

 

"28. April"

 

Seit einigen Tage treffen sich die Frauen wieder und bereiten das nächst anstehende große Fest vor. - Beltane naht. Zeit des Erwachens der Natur. Die Blumen beginnen zu blühen, die Tage werden wieder wärmer und es liegt ein süßer, betörender Duft in der Luft. Betörend für die Liebe, Symbol des erwachenden Feuers. Beltane unser gesegnetes Feuerfest.

 

Ein Maienkönig und eine Maienkönigin sollen auch in diesem Jahr wieder gewählt werden. Zur Krönung wird die Königin mit Blumenkränzen geschmückt und der König bekommt einen Kranz aus Efeu. All dies wird in der Gemeinschaft der sieben Frauen vorbereitet. Maienkönig und Königin symbolisieren die Inkarnation des wieder aufsteigenden Vegetationsgeistes und sie als Priesterin die Verkörperung der Göttin.

 

Wieder einmal soll um den aufgestellten Maienbaum getanzt werden. Bis in die frühen Morgenstunden wird fröhliches Gelächter und Musik bis in die letzten Winkel des kleinen Dorfes zu hören sein. Wer mag sich das schon entgehen lassen? Das ganze Dorf schaut zu, wenn wir uns in unsere gebräuchlichen Kleider stecken, die Besen schwingend ums Feuer laufen und die zurückgebliebenen Geister des Winters vertreiben. Fröhlich geht es zu. Zu Ehren der Göttin und der Fruchtbarkeit des Landes, der Menschen und Tiere bringen wir als Zeichen Berkana in die Rinde der Birke. Wir verteilen Zweige des Weißdorns, die sich jeder mit nach Hause nehmen kann. Nur zu dieser Zeit darf der Weißdorn mit ins Haus genommen werden, weiß die Älteste zu sagen. Es heißt, dass der Duft des Weißdorns an den intimen Duft der Frauen erinnern soll und damit als Blüte der Götting gilt.

 

Auch, so weiß die Älteste zu berichten, werden Vereinigungen von Liebenden in dieser Zeit als "grüne Hochzeiten" bezeichnet und die daraus entstehenden Kinder "Gottessöhne" genannt.

 

Die Häuser werden wieder mit Laub geschmückt und die Menschen tun es ihnen gleich, um den Schutz des grünen Geistes zu erwirken.

Mit den Kindern des Dorfes werden wir um den Maienbaum tanzen, in Richtung des Sonnenlaufes und ihm entgegengesetzt, um die Natur als Zeichen von Tod und Wiedergeburt zu ehren.

Der Dorfplatz wird wieder geschmückt sein und damit Zentrum des Geschehens der Feierlichkeiten in den Mai hinein.

 

Meine Aufgabe ist es, dieses Fest mit einigen Worten einzuleiten und diese habe ich mir einfallen lassen:

 

Ansporn

 

Aufgehangen nach den Tänzen

Elfenschuh an Elfenschuh.

Weiß und Purpurn, wie sie glänzen,

Grün deckt Träume sorgsam zu.

 

Großvater Tau darauf bedacht,

früh morgens zart die Schuh zu klopfen.

All dies bevor die Sonne lacht,

betupft er sie mit reinsten Tropfen.

 

Elfenprinz und seine Maid

schmückt der Schlaf, bis Mond sie weckt.

Angezogen schönstes Kleid,

der Fuß sich in die Schuhe streckt.

 

So adrett geht es zum Fest,

drei mal drei, mal drei der Schritte.

Ansporn Freude hinterlässt,

dem Blütenmeer erweiternd Mitte.

 

Möge es ein gelungenes Fest für uns alle werden. In diesem, wie in jedem vorangegangenem Jahr und in jedem weiteren Jahr, in denen sich weise Frauen treffen und das Fest Beltane mit der Dorfgemeinschaft zu feiern wissen."

 

Beeindruckt und die leere Tasse Tee betrachtend, lege ich das Buch zur Seite. Ich gebe mich noch ein Weilchen meinen Träumen hin. Eine kleine Spinne seilt sich in der Ecke des Fensters an einem dünnen Faden herab. Lächelnd betrachte ich ihr Spiel, die Fäden neu zu einem Netz zu verweben.

 


Die auf dieser Seite veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Jede Art der Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und jede Art der Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechts bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des jeweiligen Urhebers bzw. Autors.Das Urheberrecht und © liegen bei Ravena (Denise Kellner)