Cernunnos


  Erst im Wald findet man Frieden

(Michelangelo)

 

Ein Blatt aus sommerlichen Tagen,

ich nahm es so im Wandern mit,

auf dass es einst mir möge sagen,

wie grün der Wald, den ich durchschritt.

(Theodor Storm)


Cernunnos

 

Die früheste Darstellung eines Gottes ist der "Herr der Tiere". Eine menschliche Gestalt mit Hörnern, die in Höhlenmalereien neben Tieren und Jagdszenen erscheint. Die Tiere haben in diesen Malereien eine symbolische Beziehung zueinander und zum Menschen.

Dies zeigt, dass alle Lebewesen miteinander verbunden sind und voneinander abhängig.

Die realen Tiere wurden als Widerspiegelungen der archetypischen Tiergeister (Kraft und Totemtiere) begriffen.

Jagen und Töten waren somit mystische als auch praktische Erfahrungen. Lebewesen machen sich zwangsläufig andere Lebewesen zur Beute. Dies ist ein Geheimnis in sich und wurde auf sakrale Weise vollzogen.

 

Wenn Leben bei der Jagd genommen wurde, geschah dies mit Ehrerbietung. In der Welt der Jäger und Sammler waren die Menschen gezwungen zu jagen, ihre tierischen Freunde zu töten und auf diese Weise ihren Geist in sich aufzunehmen.

 

Zu diesem Zweck musste eine rituelle Versöhnung stattfinden. Blut und Fett wurden mit Pigmenten vermischt und so vereinten diese Gemälde die Ebene von Geist und Materie. Durch das Gemälde und das Blut wurde der Tiergeist dem Schoß der Erde, der Höhle zurückgegeben.

 

Es heißt oft, dass verschiedene Kulturen Tiere anbeteten, vor allem so genannte primitive Stämme. Aber das ist ein Mißverständnis der komplexen Beziehung solcher Kulturen mit ihrer Umgebung, ihren Tieren und Pflanzen.

 

Die Kräfte der Tiere werden nie im eigentlichen Sinne angebetet, sondern repräsentieren bestimmte Kräfte oder Eigenschaqften, die für die Balance der Umwelt und des Kosmos ausschlaggebend sind.

 

Wir wissen, dass jede Stammgesellschaft - auch die, die noch heute existieren - Tieren bestimmte Eigenschaften und Fähigkeiten zuweist.

 

Die keltische Kunst verfügt über einen großen Reichtum an Tierdarstellungen. Stammesnamen wurden von Tiertotems abgeleitet.

So verehrten etwas die Epider das Pferd als Krafttier, die Lugi den Raben und die Tochrader den Wildeber.

Auch mythologische Gestalten hatten traditionell eine schicksalhafte Verbindung mit bestimmten Tieren.

 

Es hieß dass keltische Götter und Göttinnen sich in Tiere verwandeln konnten, tierische Schutzgeister hatten und Wissen erlangten, indem sie mit den Tieren sprachen.

Den Druiden wurde eine ähnliche Eigenschaft zugeschrieben, und auch Hirten waren oft Zauberer.

 

Keltische Götter erscheinen in der Überlieferung fast immer zusammen mit einem Kulttier oder in dessen Gestalt, als Hirsch, Pferd, Hund und so weiter.

 

Der "Herr der Tiere" - Cernunnos, ist eine gehörnte Gestalt, die von Tieren umringt wird - genau wie die Gestalten, die in den Höhlenmalereien erscheinen.

 

Dank zahlreicher Reliefs und Statuen, die sich bis heute erhalten haben, wissen wir, dass die Kelten einen gehörnten Gott hatten. Wahrscheinlich war er ein Jagd und Fruchtbarkeitsgott der einfachen Menschen und nicht so sehr die Priesterschaft und der Schicht der Gelehrten, denn seine Namen und die Sagen, die sich um ihn ranken, sind uns nicht überliefert worden.

 

Man nennt ihn Cernunnos, nach einer einzigen Reliefinschrift in Gallien - wahrscheinlich die lateinisierte Version eines keltischen Namens.

 

In Britannien hieß er vielleicht "Kern" oder "Herne", denn es gibt im Zusammenhang mit dem Windsor Great Park Sagen über eine gehörnte Figur namens Herne.

 

Noch immer, so heißt es, geistert diese Gestalt im Park umher.

Der Sagen nach ist er ein mächtiger, bärtiger Mann, der ein großes Hirschgeweih auf seinen Kopf trägt.

 

Er führt Ketten und ein Jagdhorn mit sich und reitet mit einer Meute wilder Jagdhunde auf einem schwarzem Pferd. Vielleicht wurde sein Name vom Ruf der Hirschkuh abgeleitet, mit dem sie den Hirsch ind er Paarungssaison zu sich ruft.

 

Manchmal hält dieser Herr auch eine Schlange und eine Fackel in den Händen, was darauf hinweist, dass er ein Gott des Sommers, des Himmels und der Unterwelt, des Todes und der Wiederauferstehung ist.

 

Der Hirsch gehörte einst zu den vier heiligen Tieren der Kelten und kommt häufig in britischen und irischen Sagen vor.

Hirsche fegen ihre neues Geweih im August und September, indem sie seinen samtigen Bast an den Zweigen der Bäume abreiben. Dann beginnt die Brunftsaison, die an Heftigkeit zunimmt.

 

Vielleicht wird der Hirsch aus diesem Grund mit der Welt des Jenseits in Verbindung gebracht und hat Samhain und das Fest der Wintersonnenwende geprägt.

Während des Winters, so heißt es, werden die Rehe und Hirsche von Cailleach, dem Riesenweib, und ihren Frauen beschützt, die ihnen Milch und Unterschlupf bieten.

 

Gehörnte Tiere wurden ganz allgemein als heilig betrachtet, denn die Hörner galten als Symbol der Fruchtbarkeit.

Das Geweih gehörte zu den frühesten Werkzeugen, mit dem man den Boden pflegen konnte und pulverisierte Hirschgeweihe dienten als Aphrodisiaka.